Rüggeberg - seit 1798
ein Kirchdorf
Eine kurze Rückschau auf die Entstehung
der evangelischen Kirchengemeinde Rüggeberg von
Werner Balke |
Dass die Bewohner unserer ländlichen Region vor 1798
keine eigene Kirche hatten, das gefiel ihnen gar nicht. Zu jedem Gottesdienst
und auch zu Taufen, Trauungen und Beerdigungen mussten sie den weiten Weg nach
Schwelm machen, wo bereits im Jahre 1085 eine Kirche
urkundlich erwähnt wird. Das Kirchspiel Schwelm
umfasste um 1700 noch elf Bauerschaften, von
Ost-Barmen (Stadtteil von Wuppertal) bis Voerde
(Stadtteil von Ennepetal) im Osten sowie Hiddinghausen
(Sprockhövel) im Norden bis Schweflinghausen im
Süden. Die Entfernung der entlegensten Gehöfte in der Bauerschaft
Schweflinghausen bis nach Schwelm
beträgt ungefähr 12 Kilometer. Für einen Hin- und Rückweg musste man also bei
normaler Witterung 4-5 Stunden Zeit aufwenden. Bei Schlechtwetter, vor allem im
Winter, dürfte der Zeitaufwand noch viel größer gewesen sein, zumal die Wege
damals noch in einem miserablen Zustand waren. Alte, kranke und gebrechliche
Menschen konnten diese Strapazen schwerlich auf sich nehmen und waren so vom
Besuch der Gottesdienste, wie auch der Feier des Heiligen Abendmahls
ausgeschlossen. Fehden und Kleinkriege zwischen den damaligen Landesherren
machten die Gegend obendrein unsicher. Überfälle mit Raub und auch Totschlag mehrten bei den Landbewohnern die Angst, den weiten
Weg zur Kirche nach Schwelm zu machen. Trotzdem haben
sich immer wieder Bauern und Bürger unserer Gemeinde in den Dienst der Kirche
gestellt und im Kirchenrat mitgearbeitet. In den Kirchenbüchern des 16. und
17. Jahrhunderts findet man wiederholt Namen von Bauern aus der Umgebung von
Rüggeberg, wie z.B. Johann zu Mühlinghausen, Nolde zu
Ravenschlag, J.Hermann zur Hülsenbecke, Johann Vorwerk, Joh. Ebinghaus
oder Melchior und Caspar Wittenstein.
Im
30jährigen Krieg (1618 - 1648), als die Umgebung wegen marodierender Banden
sehr gefährlich war, entschlossen sich die Rüggeberger (Bauerschaft
Mühlinghausen und Schweflinghausen)
kurzerhand, zumindest die Beerdigungen im Dorf vorzunehmen. Die erste Beerdigung
auf dem heute noch erhaltenen Friedhof datiert von 1636. Dieser Entschluss kann
wohl als erstes Anzeichen dafür gewertet werden, sich von der Mutterkirche in Schwelm allmählich zu trennen. Da es in den beiden hiesigen
Bauerschaften auch keine Schulen gab, beantragten die
Bewohner im Jahre 1705 zum ersten Mal beim Konsistorium in Schwelm,
die Anstellung eines Schulmeisters zu gestatten, der dann noch
sonntagnachmittags im Katechismus unterrichten solle. Diese Vergünstigung war
nach der Klevisch-Märkischen Kirchenordnung von 1687
den weit abgelegenen Bauerschaften zugebilligt
worden, natürlich auf eigene Kosten in selbst errichteten Gebäuden! Das Schwelmer Kirchen-Konsistorium erkannte wohl gleich die
hinter diesem Antrag steckende Absicht, nämlich nicht nur einen Lehrer für die
Kinder sondern auch einen Prediger anzuwerben, und lehnte den Antrag ab. Jedoch
ließen die hartnäckigen Bauern nicht nach. Zehn Jahre später, also 1715, folgte
ein neuer Antrag dahingehend, dass man für die Kinder einen Schuldiener einstellen
dürfe, der in der Woche Lesen, Schreiben, Rechnen und Christentum lehren jedoch
an Sonn- und Feiertagen einen Sermon (eine Predigt) und eine Kinderlehre halten
möge. Man genehmigte zwar den Bau eines Schulhauses und die Anstellung eines
Schuldieners, jedoch durfte dieser keine Predigten halten, weil das ein Recht
der Geistlichen sei und außerdem den "Armen" im Kirchspiel Schwelm schaden würde
Das
Schulhaus, aus dem kurz darauf jedoch ein "Kirchschulhaus" wurde, ist
in den Jahren 1717/18 in der Mitte der beiden Bauerschaften
Schweflinghausen und Mühlinghausen
auf Rüggeberg erbaut worden und steht heute noch. Rüggeberg ist seitdem Zentrum
der umliegenden Bauerschaften. In kluger Voraussicht
der kommenden Entwicklung (Abtrennung von der Mutterkirche in Schwelm) versah man das "Kirchschulhaus" auch mit
einem Dachreiter und einer Glocke. Trotz massiven Widerstandes der "Schwelmer" hielt der damalige Lehrer und Kandidat G.P.
Schmitt am 2. Weihnachtstag des Jahres 1721 in diesem
"Kirchschulhaus" am Rüggeberger Marktplatz einen Gottesdienst mit
Predigt, der ihm einen scharfen Verweis vom Schwelmer
Konsistorium einbrachte. Die Rüggeberger ließen sich
jedoch durch solche Maßregelungen nicht davon abhalten, auch weiterhin
Gottesdienste im Dorf abzuhalten und erhielten nach einem Rechtsstreit mit den
"Schwelmern" endlich 1726 von der Regierung
in Kleve die Erlaubnis, an Sonn- und Feiertagen nachmittags einen Gottesdienst
abzuhalten.
Die
Predigt durfte aber nur von einem geprüften "Kandidaten" gehalten
werden, der den lutherischen Geistlichen in Schwelm
unterstand. Das war schon ein halber Sieg! Der erste geprüfte und als geeignet
befundene Kandidat war Franz Hölterhoff aus Lennep, der von 1726 bis 1733 das Amt inne
hatte. Als er am 1. Weihnachtstag 1729 und ab 1730 regelmäßig vormittags
predigte, wurde ihm das wiederum vom Schwelmer Konsistorium
streng untersagt. Er reagierte darauf ziemlich ausfallend und schalt auf die
geistliche Obrigkeit. Die "Rüggeberger Dickköpfe" waren danach in
der Schwelmer Mutterkirche nicht sehr beliebt und so
wurden die immer wieder vorgetragenen Bitten auf Loslösung von der Schwelmer Kirche ignoriert. Dem Franz Hölterhoff
folgten noch 5 Kandidaten, die sowohl Schuldiener (Lehrer) als auch Prediger
waren. Unter diesen ist besonders Friedrich Christoph Baak
zu erwähnen, der fast 48 Jahre lang in Rüggeberg seinen Dienst tat.
Der
wohl entscheidende Schritt zur Separation wurde 1785 eingeleitet durch die
Eingabe der 4 Rüggeberger Bürger Joh. Diedr. Dresel, Joh. Caspar Hesterberg, Joh.Michael
Karte und Joh. Peter Wirminghaus an die
königlich-preußische Regierung in Kleve mit plausiblen Begründungen, die zwar
nicht sofort, aber doch nach fast fünf Jahren insofern beantwortet wurde, als
dass ein königlicher Kommissar an Ort und Stelle den Antrag prüfte. Er stellte
wohl fest, dass die örtlichen Verhältnisse, der Zustand der Wege, und die Größe
der Rüggeberger christlichen Gemeinde für eine Separation von Schwelm ausreichten und hat seiner Regierung die Zustimmung
dazu empfohlen. In dem Untersuchungsprotokoll beschreibt der königliche
Kommissar u.a. die Größe und die Ausstattung des "Kirchschulhauses"
und man erfährt, dass dieses im Erdgeschoss 165 und auf der umlaufenden Empore
130 bis 150 Sitzplätze hatte. Eine Orgel und eine Kanzel gehörten auch schon
zur Ausstattung. Am 10.8.1798 erteilte dann endlich die königlich preussische Regierung die Erlaubnis, sich von der
Lutherischen Schwelmer Muttergemeinde zu trennen und
somit eine eigenständige Kirchengemeinde mit Pfarrer zu bilden. Wegen der immer
größer werdenden Zahl der Schüler hatte man schon einige Jahre vorher die
Trennung von Schul- und Predigtamt beschlossen. Das Gebiet der neuen
Rüggeberger Kirchengemeinde umfasste das Gebiet zwischen den Flüsschen Heilenbecke und Ennepe, im Norden
bis Homberge, im Süden bis Schweflinghausen
und Burg an der Ennepe. Nun war man endlich
selbständig und musste nicht mehr den weiten und oft beschwerlichen Weg nach Schwelm gehen.
Dass
ausgerechnet zu dem Zeitpunkt gerade kein Prediger in Rüggeberg seinen Dienst
tat, sondern Aushilfen aus Remlingrade in Anspruch
genommen werden mussten, ist schon ein Kuriosum. Erst im Mai 1799 wurde der
erste hauptamtliche Pfarrer namens Johan Christoph Wilhelm Brinkdöpke
aus Haspe vom märkischen Generalinspektor, Pfarrer Dahlenkamp
im Rüggeberger "Kirchschulhaus" ordiniert. Er wohnte auf dem Gut Rutenbecke zur Miete, denn ein Pfarrhaus gab es noch nicht.
Die Kirchengemeinde wuchs ständig und bald wurde das
Kirchschulhaus zu klein für die zahlreiche Gottesdienstbesucher, so dass man
sich entschloss, auf dem gegenüberliegenden von dem Landwirt Joh. Eberhard Jellinghaus geschenkten Grundstück von knapp 500 qm eine
neue Kirche zu bauen Im Jahre 1825 wurde der Grundstein dazu gelegt. Fast alle Rüggeberger haben mit Spenden oder Hand- und Spanndiensten
zum Bau des neuen Gotteshauses, das inzwischen mehrfach renoviert wurde, beigetragen.